Geschichte der Alamannen bis zur fränkischen Oberherrschaft
von K.K. - Konrad Knauber
Beim folgenden Artikel handelt es sich um einen historischen und damit aufgrund der Quellenlage vorrangig militärisch geprägten Abriss der Geschichte der sogenannten "freien" prä- oder frühalamannischen Stämme des heutigen Baden-Württembergs bis zum Verlust der Unabhängigkeit im frühen 6. Jahrhundert. Es ist dabei unvermeidlich, dass die Schilderung durch römische Schriften und damit römische Topoi geprägt ist. Die Darstellung verwendet als wesentlichste Grundlage D. Geuenichs "Geschichte der Alemannen" (im Anhang), andere Autoren werden, so nötig, im Text erwähnt.
I. Zur Quellenlage
Für den hier behandelten Betrachtungszeitraum alamannischer Geschichte, nämlich die Zeit etwa zwischen dem Fall des Limes 260 und der Oberherrschaft der Franken ab 506/7, stellt sich die historische Quellenlage als sehr ungünstig dar: Der römische Autor Cassius Dio beendet seine Geschichtsschreibung mit der Regierungszeit des Severus Alexander 235, erst die überlieferten Bücher 14-31 der Res gestae des Ammianus Marcellinus, welche die Jahre 353 bis 378 behandeln, geben uns Auskunft über die Alamannia und ihre Bewohner. Die Zwischenzeit wird schlaglichtartig beleuchtet von epigraphischen Zeugnissen, besonders um die Zeit des Limesfalls, wie etwa der Gallienus-Inschrift von Hausen von 256/57 bis 259 oder dem Augsburger Siegesaltar von 260, desweiteren finden sich Erwähnungen in der „Weltchronik“ (vor 303) und „Kirchengeschichte“ (325) des Eusebios von Caesarea (260-340), ebenso in den von unbekannter Hand zu Beginn des 5. Jh. verfassten, zum Teil fiktiven Kaiserbiographien der Historia Augusta. Von der Rolle der Alamannen im römischen Heeresdienst zeugt schließlich die militärhistorisch bedeutende, um 400 verfasste Notitia dignitatum. (Unruh 1993)
II. Herkunft, Landnahme, Ethnogenese
Die Anfänge einer Geschichte der Alamannen liegen im Dunkeln. Sowohl Herkunft als auch Ethnogenese der Alamannen sind unklar; weder bei Caesar noch bei Tacitus (gest. nach 116 n. Chr.) taucht ihr Stammesname oder der eines der späteren Teilstämme auf. Die Gleichsetzung von Alamannen und den bereits im 1. Jh. genannten Sueben geht vermutlich auf Gregor von Tours (6. Jh.) zurück.
Das Völkergemisch vermutlich elbgermanischer Abstammung, das um 260 nach Christus den obergermanisch-rätischen Limes überschreitet und die agri decumates, welche Teile der Provinzen Germania Superior und Raetia umfassten, in Besitz nimmt, lässt sich also noch nicht mit einem Namen belegen. Die Bezeichnung „Alamanni“, die Agathias (530/32-582) zufolge bereits Asinius Quadratus, ein Historiker des 3. Jh., als „zusammengespülte und vermengte Menschen“ gedeutet hat, begegnet uns erstmalig im Panegyricus des Mamertinus auf Kaiser Maximianus im Jahr 289; ins 50 Jahre zuvor verfasste Werk des Geschichtsschreibers Cassius Dio ist sie erst in spätere Abschriften nachträglich eingefügt worden.
Ebensowenig, wie man sich die „Alamannen“ der Frühzeit als homogenes Volk vorstellen darf, war die Überschreitung des Limes eine Eroberungswelle; vielmehr waren die Reichsgrenzen durch innerrömische Machtkämpfe zwischen Kaiser Gallienus (260-268) und Usurpator Postumus (260-269) geschwächt, die agri decumates durch Agrarkrisen und Überschwemmungen möglicherweise bereits zum Teil entvölkert (Kuhnen 1992).
Man kann sich die allmähliche Einsiedlung am ehesten als Folge einzelner Beutezüge vorstellen, wie sie die „Alamannen“ bereits 233 in die linksrheinischen Provinzen und nach 260 sogar bis nach Italien unternahmen; eine Sesshaftwerdung kann unter Umständen auch erst zu Beginn des 4. Jh. erfolgt haben.
Wirtschaftlich waren die agri decumates nach dem Zusammenbruch der dortigen Infrastruktur für die Römer uninteressant geworden, so dass Kaiser Probus (276-282) den „nassen Limes“ entlang der Flüsse Donau, Iller und Rhein unter Ausklammerung der „alamannisch“ besetzten Gebiete befestigten ließ.
III. Die Alamannen als Nachbarn der Römer
In der Folgezeit, d.h. im ausgehenden 3. und 4. Jh., gab es zum einen weiterhin Überfälle der Alamannen auf römisches Gebiet, zum anderen oft erfolgreiche Versuche der Römer, die Alamannen als Föderaten zu gewinnen und somit in die Grenzsicherung und den Militärdienst einzubinden.
Eine weitere Möglichkeit war die Ansiedlung besiegter Alamannen als laeti, besonders nach den Siegen der Kaiser Maximian (286-305) und Constantius I. (305-306). Diese standen in engerem Abhängigkeitsverhältnis zum Imperium als die foederati. Oft handelte es sich dabei um Kriegsgefangene, die nun innerhalb des römischen Reichs lebten.
Aus dieser Zeit sind uns weiterhin nur Einzelstämme bekannt, die von den Römern als Alamanni bezeichnet werden, so aus der Notitia dignitatum die Bucinobantes, Raetovarii, Brisigavi und Iuthungi, sowie aus dem Werk des Ammianus Marcellinus außerdem die Lentienses. Mit Ausnahme des schon Mitte des 3. Jh. belegten Namens der Iuthungen leiten sich diese Stammesnamen von Gaubezeichnungen ab, müssen also erst nach der Landnahme entstanden sein.
Eine entscheidende Änderung der römischen Alamannenpolitik erfolgte nach den massiven Alamanneneinfällen in linksrheinisches Gebiet ab 352, die wohl von Kaiser Constantius II. (337-361) gezielt provoziert wurden, um den Usurpator Magnentius zu schwächen. 357 kam es daraufhin zur Schlacht bei Argentorate (Straßburg), in der der Caesar und spätere Augustus Iulian Apostata (361-363) gegen eine Übermacht von etwa 35000 Alamannen unter dem Heerkönig Chnodomar (es werden insgesamt sieben reges erwähnt) und seinem Neffen Serapio den Sieg davontrug.
Wie eng die Beziehungen der Alamannen zum Imperium zu dieser Zeit noch sein konnten, lässt sich am Beispiel Vadomars, des Königs der Brisigavi, aufzeigen: Dieser unterhielt enge Verbindungen sowohl zu Constantius II. als auch zu Iulian Apostata und spielte diese gegeneinander aus, was erst aufgedeckt werden konnte, als Wachposten Iulians einen Brief Vadomars an Constantius abfingen. Bei einem Freundschaftsmahl ließ Iulian ihn daraufhin festnehmen und in die Verbannung nach Spanien schicken, jedoch machte er Karriere im römischen Militärdienst unter Kaiser Iovian (363-364)und stieg sogar für einige Zeit zum dux der Provinz Phönizien auf.
In der Folgezeit ändert sich, besonders unter Valentinian I., die Politik der Römer gegenüber den Alamannen drastisch: Die Verträge, die Iulian nach der Schlacht von Straßburg mit den Alamannen geschlossen hatte, wurden nicht erneuert; nachdem die Gesandten der Gaukönige am kaiserlichen Hof in Mailand vorstellig werden, erhalten sie weitaus geringere Tributzahlungen als üblich.
Valentinian bezeichnet die Alamannen im Jahr 365, so Ammianus Marcellinus, als hostis totius orbis Romani, „Feind des gesamten römischen Erdkreises“. Er unternimmt darüber hinaus im Jahr 368 einen Feldzug in den Breisgau und beginnt im folgenden Jahr mit dem Ausbau der Rheingrenze; zahlreiche Neubauten belegen dies, so z.B. die Kastelle Alzey und Kreuznach, der burgus von Altrip oder die Anlage von Sponeck am Kaiserstuhl (Alamannen 1997).
Etwa zur selben Zeit werden Alamannen aus dem gehobenen römischen Militärdienst suspendiert, in den nun vermehrt Franken eintreten, und sogar mehrere alamannische reges ermordet.
Im Jahr 378 schließlich werden die alamannischen Lentienser unter Priarius vom Caesar Gratian in der Schlacht bei Argentovaria (Horburg im Elsass) vernichtend geschlagen, von 40000 sollen nur 5000 überlebt haben. Im selben Jahr beschließt Ammianus Marcellinus sein Geschichtswerk mit der Schlacht von Adrianopel, sodass wir über die folgende Zeit kaum Informationen besitzen.
Sicher ist, dass sich auch Alamannen unter den Völkerscharen befanden, die 406/7 die von Stilicho 401 entblößte Rheingrenze überschritten und in die römischen Provinzen einfielen. Alamannen werden auch im Gefolge des Gegenkaisers Iovinus (411-413) in Mainz erwähnt; speziell die Iuthungen werden 430 vom weströmischen Heermeister Aetius (429-454) beim Angriff auf Raetien zurückgeschlagen.
Nach der Umsiedlung der Burgunder durch Aetius 443 dürften zahlreiche Alamannen in linksrheinische Gebiete, insbesondere das Elsass, eingedrungen sein und sich dort niedergelassen haben, was in den Schriftquellen allerdings keine Erwähnung findet; archäologische Untersuchungen zeigen bisher lediglich einen Rückgang der gallorömischen Bevölkerung im 5. Jh. auf.
IV. Die Alamannia bis zur fränkischen Oberherrschaft
Mit dem Sturz des gallischen Kaisers Avitus 456 und damit dem Ende der römischen Herrschaft am Rhein beginnt die Phase der größten Ausdehnung und Machtentfaltung der Alamannia; Alamannen werden in Noricum, in der Champagne und am Mittelrhein erwähnt, was wohl eher den Aktionsradius alamannischer Expeditionen als deren tatsächlichen Einflussbereich umschreibt.
Denn es gelang ihnen trotz des entstandenen Machtvakuums keine Ausweitung ihrer Territorialherrschaft, wie anderen germanischen Völkern dieser Zeit, falls eine solche überhaupt angestrebt wurde. Das genaue Ausmaß ihrer Siedlungen jenseits des Rheins im Elsass und in Raetien zu dieser Zeit ist uns nicht bekannt.
An ihrer Gesellschaftsstruktur ändert sich vermutlich nichts. Man wird wohl auch für das 5. Jh. mit Einzelstämmen unter ihren jeweiligen Gaukönigen rechnen müssen. Wir kennen aus dem 5. Jh. nur zwei Königsnamen, und zwar Gibuldus (in der Vita Severini) um 469 bis 476, bei Passau erwähnt, und Gebavultus (aus der Vita des Bischofs Lupus von Troyes). Auch wenn sich beide Nennungen als unterschiedliche Namensformen auf die selbe Person beziehen könnten, spricht dies nicht unbedingt für ein alamannisches Großkönigtum.
Die Konfrontation mit den Franken sollte sich schließlich als entscheidend für die weitere Geschichte der Alamannen herausstellen. Wie Gregor von Tours berichtet, kam es im fünfzehnten Jahr der Regierung des fränkischen Königs Chlodwig, 496 oder 497, zu einer entscheidenden Schlacht zwischen Alamannen und Franken, nach der sich Chlodwig zum Christentum bekehrte, als er den Sieg errang.
Die neuere Forschung geht hingegen eher von drei Schlachten aus, deren erste bereits in den 80er oder frühen 90er Jahren des 5. Jh. bei Zülpich stattgefunden habe, die zweite jene „Bekehrungsschlacht“ Chlodwigs 496/7 gewesen sei. Schließlich habe es eine dritte Schlacht im Jahr 506 gegeben, die als Anlass des Schreibens Theoderichs des Großen (471-526) an Chlodwig gedient habe, in welchem er sich für die besiegten Alamannen einsetzte. Mit dem Ende der ostgotischen Schutzherrschaft über das alamannische Churrätien und dessen Übergabe von Witigis an Theudebert I. 537 waren alle alamannischen Stämme unter fränkischer Herrschaft vereint.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde zur Durchsetzung der fränkischen Macht das Herzogtum Alamannien eingerichtet, infolgedessen sich die Alamannen wohl erstmalig selbst als Stammeseinheit wahrzunehmen begannen.
Verwendete Quellen und Literatur
„Die Alamannen“, hrsg. vom Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg, Stuttgart 1997.
Geuenich, Dieter: „Geschichte der Alemannen“, Stuttgart 1997.
Kuhnen, Hans-Peter (Hrsg.): „Gestürmt – geräumt – vergessen? Der Limesfall und das Ende der Römerherrschaft in Südwestdeutschland“, Stuttgart 1992.
Unruh, Frank: „Kritische Bemerkungen über die historischen Quellen zum Limesfall in Südwestdeutschland“, Fundber. Bad.-Württ. 18, Stuttgart 1993, 241-252