Glasperlen

  • Berlockperlen
  • Kette aus Schleitheim Grab 363, um 400
  • Berlockperlen, edles Design des 4. Jhd.
  • Perlenkette aus Grab 100, Basel Kleinhüningen, 5. Jhd.
  • Perlenkette, 5. bis 6. Jhd.
  • Gehängeperle 6. Jahrhundert
  • Perlencollier, wie Bülach, Grab 5, 7. Jahrhundert
  • Kette Ende 7. Jhd
  • Aussehen Ende 7. Jhd.
  • Vierreihiges Collier

Sie sind klein, lassen sich schlecht anfassen und rollen ständig davon ... die Rede ist von Perlen. In alamannischen Frauengräbern sind sie Standardbeigabe, kommen aus reiner Bosheit meistens in großen Mengen vor, und sie freizulegen ist eine Mordsplackerei. Gleiches gilt erst recht für ihre wissenschaftliche Bearbeitung.

Die sehen doch alle gleich aus!

Nein. Klar, es gibt Formen und Farben, die über die Jahrtausende immer wieder modern werden, keine Frage. Es gibt aber auch Typen - spezielle Kombinationen von Form, Farbe und Verzierung - die nur zu ganz bestimmten Zeiten und an ganz bestimmten Orten vorkommen. Schaut man eine Glasperle genau an, kann sie einem viel erzählen. Bläschen und Schlieren im Glas zeigen, wie sie hergestellt wurde: Industrieprodukt aus einer Fabrik, Massenware eines spezialisierten Handwerkers, exklusives Einzelstück oder mißglückte "B-Ware"? Die Oberfläche und ggf. Abplatzungen und Beschädigungen zeigen, ob die Perle ziemlich neu oder alt und abgetragen war.

Und natürlich: Glasperlen können verraten, wann sie hergestellt, getragen oder in die Erde gekommen sind. Eine einzelne Perle kann sehr, sehr lange in Gebrauch sein. Anders sieht es mit einem Perlencollier aus. Die Mischung machts: alte und topaktuelle Perlen werden zusammen nach der neuesten Mode zu einem Schmuckstück verarbeitet. Wobei der Faden, der das ganze zusammenhält, eine sehr begrenzte Lebensdauer besitzt ... Und so sieht man, daß Perlenschmuck durch die Jahrhunderte der Mode folgt und sich ständig verändert.

Alamannische Perlenmode im Schnelldurchgang

Beginnen wir unsere kleine Tour-de-Force durch die Welt der alamannischen Perlenmode mit den sogenannten "Berlockperlen" oder "Ösenperlen" - kleine zylindrische oder ringförmige Perlchen aus blauem Glas, an die ein dicker blauer Glastropfen angeschmolzen ist. Perlen dieser auffallenden Form gab es nebenbei erwähnt auch aus Bernstein. Ketten aus Berlockperlen wirken sehr elegant - Damen und Mädchen aus Lauffen am Neckar, Gerlachsheim, Gundelsheim oder Salem besaßen so etwas, allesamt im 4. Jh. n. Chr. verstorben. Also ein typisch alamannischer Schmuck? Nun ja ... eine Juthungin aus Berching-Pollanten trug ein identisches Collier, und die Dame aus dem tschechischen Sobesuky und mindestens ein weiteres Dutzend Frauen in Ostdeutschland und Polen. Hier findet man Bernstein-Berlock-Perlen schon in Gräbern des 3. Jahrhunderts n. Chr.

Überhaupt Bernstein: bis zu tischtennisballgroß waren die Klunkern der fast bis zum Bauchnabel reichenden Bernsteinketten zweier um 400 n. Chr. verstorbenen Alamanninen. Beide waren in großen Grabkammern bestattet, mit einer Holztruhe neben der linken Schulter und viel Geschirr mit Essensvorräten. Die eine Dame - aus Lauffen am Neckar - trug noch ein kurzes Kettchen aus Glasperlen. Kleine blaue und grüne Linsen, blaues Glas zu Polyedern geschliffen, Perlen aus zwei farblosen Glasschichten mit dazwischenliegender hauchfeiner Goldfolie: ein Schmuck, der ebensogut der Bewohnerin eines spätrömischen Kastellortes hätte gehört haben können. Die zweite Dame - beerdigt im schweizerischen Schleitheim - hatte ein farblich ähnlich Kettchen um den Hals. Allerdings ersetzen zylindrische Perlen die kleinen Linsen, und es war um sehr dekorative Silberringe bereichert - solche Ringe fand man in verschiedenen Gräbern des frühen und mittleren 5. Jahrhunderts zwischen Schaffhausen und Basel.

Doch zurück zu den Bernsteinbollen! Die Kombination von protzigen Bernsteinen und Grabkammer-wie-1-Zimmer-Appartement ist nicht auf Lauffen und Schleitheim beschränkt - derartige, sich sehr ähnliche Gräber finden sich auch im Norden, in den Niederlanden, in Niedersachsen, in Mitteldeutschland. Viele der so beerdigten Frauen hatten zudem noch auffallende Gürtel um die Taille: die Schleitheimerin einen spätrömischen Offiziersgürtel, ihre Zeitgenossin aus Zweeloo (Niederlande) einen Gürtel aus sehr großen verzierten Glasperlen. Genau solche Perlen finden sich in mehr oder minder großen Stückzahlen auch in allen Gräbern mit Bernsteinklunkern und Berlockperlen. Und in vielen ärmeren Gräbern des 4. und 5. Jahrhunderts. Hier dienten diese sogenannten Wirtelperlen als Amulette und wurden meist an einem Band vom Gürtel hängend getragen.

"Typisch alamannische" Modeerscheinungen sucht man auch in den folgenden Jahrhunderten vergeblich: die Veränderungen im Perlenschmuck verlaufen von der Schweiz bis Niedersachsen relativ ähnlich.

Ob es sich um Massen von schwarzen Miniaturperlen im frühen 5. Jahrhundert handelt, oder die für das späte 5. und frühe 6. Jh. charakteristische Farbkombination Schwarz - transparent mit Silber - Bernstein. Im Laufe des 6. Jahrhunderts treten hier wie dort kleine gedrückt kugelige rote und gelbe Perlen hinzu, kugelige Perlen mit zwei weitschleifig gekreuzten Wellenbändern und dicke rote zylindrische Perlen mit einer (manchmal federartig verzogenen) Spiralfadenverzierung. Schwarze und durchsichtige Perlen verschwinden aus den Ketten, die silbernen Überfangperlen werden selten. Die Ketten werden bunter: Millefioriperlen, verschiedene Perlen mit Punkten und anderen Verzierungen beleben das Bild.

Im späten 6. und zu Beginn des 7. Jahrhunderts tauchen überall Massen von walzenförmigen Perlen in Rot, Gelb, Weiß und seltener undurchsichtigem Blau auf, die beiden Wellenbänder der kugeligen Perlen sind nun engschleifig aufgelegt und die zylindrischen Perlen mit Spiralverzierung wesentlich schlanker als zuvor. Perlen, die in der ersten Hälfte des 6. Jhs. modisch waren, verschwinden aus den Gräbern. Mit dem 7. Jahrhundert beginnt der Siegeszug tonnenförmiger Perlen aus orangem Glas, und doppelkonischer Perlen in Orange, Rot, Weiß und Türkis.

Mit der Mitte des 7. Jhs. verändert sich etwas: die Perlenmode fängt an, regional deutliche Unterschiede zu zeigen. So sind die doppelkonischen Perlen in Niedersachsen sehr viel größer als in Baden-Württemberg, haben eine ganz andere Oberfläche, und statt Türkis wurde dunkles blaugrünes Glas verwendet. In Baden-Württemberg und der Schweiz verschwinden die "alten" verzierten Perlen aus den Ketten, modisch sind nun quaderförmige Perlen mit 12 Punkten. Mengen von kleinen kugeligen Perlen aus gelbem und undurchsichtigem hellgrünem Glas treten hinzu, und lange, unregelmäßig fazettierte Bernsteinperlen.

Der letzte Modetrend, den wir noch fassen können (wir befinden uns inzwischen im späten 7. und frühen 8. Jh.), sind kugelige schwarzbraune Perlen mit einer Auflage aus bunten Flecken. Wie es weiterging mit der alamannischen Perlenmode? Wir wissen es nicht - die Toten kamen nun ohne Beigaben in ihr Grab.

Schlappe Schnur um den Hals ?
Alle Perlen auf einen Faden gefädelt als einfache Kette um den Hals gehängt - so sieht man es auf Bildern und in Museen. Die Wirklichkeit war häufig sehr viel interessanter!

Was die Nachbarin neidisch macht

Eine Modewelle entsteht nicht aus dem Nichts. Auch die Alamannin orientierte sich an Vorbildern und versuchte, diese mit eigenen Mitteln nachzuahmen. Wer auch immer das Collier der jungen Frau aus Bülach angefertigt hat, sie oder er hatte etwas bestimmtes vor Augen: das Bild eines goldenen Metallkragens, mit einzelnen farbigen Edelsteinen besetzt. Den Schmuck der Kaiserin im fernen Byzanz. Die byzantinische Hoftracht warf ihre Schatten nachgewiesenermaßen auf die Kleidung fränkischer und sächsischer Frauen des späten 6. und 7. Jahrhunderts - ihre alamannischen und bajuwarischen Zeitgenossinnen standen ihnen sicherlich in nichts nach. Ob die Frauen ihre Vorbilder dabei jemals selbst einmal zu Gesicht bekamen, mag bezweifelt werden - obwohl zumindest eine Angehörige des fränkischen Königshauses, Bathilde, selbst einen byzantinischen Juwelenkragen besessen hat. Vielleicht hatte der weitgereiste Krieger, frisch vernarbt zurückgekehrt, seinem Weibsvolk zuallererst statt eigener Heldentaten modische Details zu berichten?

 

Buchtipps:

M. Siegmann, Bunte Pracht - Die Perlen der frühmittelalterlichen Gräberfelder von Liebenau, Kr. Nienburg/Weser, und Dörverden, Kreis Verden/Aller. Teil 1-5. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 28.1-5 (Langenweißbach 2002-2006).

(Teil 1: Forschungsgeschichte

Teil 3: Perlenmoden im überregionalen Vergleich

Teil 4: Trageweise von Perlen

Teil 5: Herstellungstechniken, Perlenwerkstätten, Perlenhandel )

 

A. Burzler, M. Höneisen, J. Leicht, B. Ruckstuhl, Das frühmittelalterliche Schleitheim - Siedlung, Gräberfeld und Kirche. Schaffhauser Archäologie 5 (Schaffhausen 2002).

B. Sasse, C. Theune, Perlen als Leittypen der Merowingerzeit. Germania 74, 1996, 187-231.

U. Koch, Die Grabfunde - Bausteine der Chronologie - Indikatoren der sozialen Stellung. In: H. Probst (Hg.), Mannheim vor der Stadtgründung Teil I Band 2 (2007).

M. Schulze, Einflüsse byzantinischer Prunkgewänder auf die fränkische Frauentracht. Archäologisches Korrespondenzblatt 6, 1976, 149-161.

M.S.