Kamm- und Beinschnitzerei
Bis zur Erfindung von Plastik waren Hirschgeweih und Knochen unverzichtbare Werkstoffe. Beide Materialien sind durch eine Kombination von organischen und anorganischen Bestandteilen sowohl stabil als auch elastisch. Insgesamt hat Geweih bessere Materialeigenschaften, als Knochen. Letztere fallen jedoch bei Jagd sowie Schlachtung regelmäßig in größeren Mengen als Nebenprodukt an.
Die Alamannen fertigten aus Geweih und Knochen vorwiegend Kämme, um ihr langes Haupthaar zu bändigen und von lästigem Ungeziefer zu befreien. Häufig finden wir die „Läuserechen“ in den Gräbern der Alamannen neben den Bestatteten – bei Männern wie Frauen gleichermaßen. Da das Haar bei vielen Völkern als Sitz der Lebenskraft gilt, verwundern schön verzierte Kämme für das Jenseits kaum.
Die zeitaufwendigen Exemplare wurden vermutlich von Kammschnitzern hergestellt. Am aufwändigsten gefertigt sind die zweireihigen Kämme des 6. und 7. Jh. n. Chr. aus Frauengräbern. Sie haben üblicherweise ein Klappfutteral aus dem selben Material, das die fein gesägten Zinken vor dem Abbrechen schützen sollte. Die Kämme wurden von den Frauen nämlich zu Lebzeiten am Gürtel befestigt getragen. Die Männer bevorzugten dagegen breite, einreihige Kämme, die anscheinend nicht direkt „am Mann“ getragen wurden.
Geweih und Knochen weisen im festeren Außenbereich eine längs verlaufende Faserstruktur auf. Um die größtmögliche Stabilität der Kammzähne zu erhalten, müssen diese in Faserrichtung verlaufen. Naturgegebener maßen sind Geweih und Knochen aber in der Breite begrenzt. Deshalb müssen mehrere Teilstücke aneinander gestückelt werden, um eine gewünschte Kammbreite zu erreichen. Die Teilstücke wiederum werden mittels Nieten zwischen Platten mit quer verlaufender Faser fixiert. Aus diesem Grund werden Kämme dieser Art auch Dreilagenkämme genannt.
Neben Kämmen wurden in geringerer Anzahl Haarnadeln, Gürtelschnallen, Messergriffschalen, Taschenknebel, Spinnwirtel, etc. aus den tierischen Materialien geschnitzt. Diese Dinge wurden jedoch häufiger aus anderen Materialien gemacht, was den Eindruck erweckt, dass Geweih und Knochen lediglich Ersatzmaterialien darstellten. So bestanden Haarnadeln typischerweise aus Bronze oder Silber, Spinnwirtel aus Ton oder Glas.
Weit verbreitet unter Alamanninnen waren Amulette aus denjenigen Teilen des Hirschgeweihs, die man eher als Produktionsabfälle bezeichnen könnte: Die Geweihenden wurden evtl. in Anlehnung an antike Herkuleskeulen zu so genannten Donarkeulen verarbeitet. Die verdickte Basis des Geweihs, die Rosette, wurde mit geometrischen Zirkelschlagmustern und Kreisaugen versehen. Beide Amulettarten wurden als Anhänger am Gürtelgehänge getragen und werden von Archäologen als Fruchtbarkeitssymbole eingestuft.
Verwendete Quellen und Literatur
- "Versuche zum Bau von dreilagigen Beinkämmen" von Lobisser, Wolfgang in Fansa, Mamoun (Hg.): Experimentelle Archäologie in Deutschland Bilanz 1996, Beiheft 18, S. 67 - 85. 1997 Isenseeverlag Oldenburg
- "Produkte von Kammachern und Beinschnitzern des frühen Mittelalters in Südwestdeutschland" von Theune-Großkopf, Barbara in Kokabi, Mostefa / Schlenker, Björn / Wahl, Joachim (Hg.): Knochenarbeit: Artefakte aus tierischen Rohstoffen im Wandel der Zeit. Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg, Heft 27, S. 41 - 55. 1994 Stuttgart.
A.H.