Arbogast
Ich bin Arbogast, Agilos Sohn, von den Iuthungen.
Meine Eltern kamen mit hundert anderen Familien aus dem Gau an der Grimma zu dem großen Fluss, den die Römer Danuvius nennen, noch einige Winter bevor ich geboren wurde. Das war im Jahr MII a.u.c.
In einem Vertrag mit unserem König hatten die Römer uns gutes Land dafür versprochen, dass wir ihre Grenze, den Limes, schützen. Sie waren zu dieser Zeit uneins und kämpften nicht nur gegen die Bünde der Alamanni, sondern auch untereinander. Sie zahlten gut mit Silber und Wein für unsere Reiter und Speerträger, die besten der Welt. Deshalb kamen bald mehr von unserem Stamm nach, Familien aus anderen Gauen und auch Semnonen.
Als die Römer die versprochenen Jahrgelder nicht mehr zahlen wollten, beschlossen einige unserer Führer, sich zu holen, was uns zugesichert war. Viele Männer zogen bis nach Italien und machten dort reiche Beute, wurden aber nahe Augusta Vindelicum von einem Heerzug der Römer eingeholt und geschlagen. Auch mein Vater fiel dort. Danach wurden die Verträge mit den Römern erneuert, und fünf Jahre später ging ich wie Hunderte andere junge Männer zum römischen Heer. Das war im Jahr MXVIII a.u.c.
Unsere Einheit, die ala I iuthungorum, wurde die Grenze entlang auf Posten verteilt. Anfangs war es schwer, in der lateinischen Zunge zu sprechen; mittlerweile beherrsche ich sie aber wie meine Muttersprache, außerdem ein wenig das Gallische, das viele Leute hier noch sprechen. Wie die anderen limitanei sorgten wir dafür, dass die alamannischen Räuber, die jetzt in den agri decumates wohnten, bei ihren Beutezügen nicht weit kamen. Einige Jahre tat ich Dienst im castrum von Vindonissa am Rhenus superior, dann im burgus bei Vemania. Neben Patrouillenritten gehörte es zu unseren Aufgaben, die Handels- und Wegezölle zu erheben, die Steuereintreiber zu begleiten und für Ordnung auf den Strassen zu sorgen. Diebe und Banditen gab es reichlich, und viele der Gutsbesitzer gaben deswegen ihre Landvillen auf und zogen nach Italien oder Gallien. Für uns Soldaten war das Leben angenehm. Wir waren gut versorgt, mit wertvollen Waffen und sogar Rüstungen ausgestattet und bekamen regelmäßigen Sold - der leider großteils bei Wirten, Frauen und im Würfelspiel blieb. Obwohl wir als Soldaten nicht heiraten durften, lebten unsere Frauen und Kinder mit in den castra oder um die burgi, genauso auch die Wirte, Handwerker und Händler, die gut an uns verdienten.
Nachdem der Caesar Aurelianus tot war, überquerten die Alamannen den Rhein und plünderten das östliche Gallien. Erst gut ein Jahr später ging der Caesar Probus gegen sie vor, und auch unsere ala nahm am Dreijahresfeldzug von MXXVIII a.u.c. teil. Mithras, Tiu und Mars nahmen meine Opfer an: Wir waren sehr erfolgreich, und zumindest die rätische Grenze entlang Rhenus und Danuvius war wieder sicher. Die Beute aus den Kämpfen und die Soldzuschläge (als sesquiplicarius bekam ich anderthalbfachen Sold) ließen sich sehen, und so kurz vor Dienstende habe ich es dann sogar geschafft, etwas anzusparen.
Jetzt, MXXXIII a.uc., ist der Caesar Probus gerade tot, mein Dienst vorbei, und meine Truhe gut gefüllt. Wahrscheinlich werde ich zu meinen Leuten zurückgehen und eine Gefolgschaft um mich versammeln. Ob wir dann zusammen mit dem regulus Gundomar der Raetovarier-Alamannen Züge hinter den Limes unternehmen oder für den Caesar Maximianus gegen die Bagauden in Gallien kämpfen, werden die Absprachen zeigen. Schon andere, die bei den Römern Soldaten waren, sind später reiche und mächtige Herren mit zahlreichen Kriegern im Haus geworden; und wenn die Götter mir nicht neidisch sind, wird es mir vielleicht auch gelingen.
Anmerkungen:
Die Jahreszahlen beziehen sich auf die römische Zeitrechnung. Diese beginnt ab urbe condita, mit Gründung der Stadt Rom, umgerechnet im Jahre 753 v.Chr. Die Zählung hatte bis ins frühe Mittelalter Gültigkeit und wurde dann durch die christliche Zeitrechnung nach den Berechnungen des Mönches Dionysius Exiguus abgelöst.