Landogar

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Mir wurde der Name Landogar gegeben, wie bereits meinem Ohm. Meine Familie lebt in der Nähe des Hercynischen Waldes. Unsere kleine Ansammlung von Gehöften ist nur schwer zu finden. Die Familie ist groß und so auch unser Hoffeld; es ist eines der größten im Gau.

Reisende sind stets eine willkommene Abwechslung in unserer Halle. Der Wohlstand unserer Familie verschafft uns das Vorrecht, Gäste zu beherbergen, was uns hohes Ansehen einbringt.

Vor drei Sonnwenden kam eine Familie mit vielen Söhnen zu uns, die manches über unsere Nachbarn erzählten. Ihre Ernten waren schlecht, und viele Sippen waren aufgebrochen, um ins reiche und fruchtbare Land der Römer zu gehen. Auch die Söhne unserer Gäste wollten sich dem Zug anschließen, um Ruhm und Reichtum zu gewinnen.

Ich stand immer schon hinter meinem großen Bruder zurück, der schneller laufen und sprechen konnte, der erfolgreicher bei der Jagd und beliebter bei den Weibern war als ich. Er war groß und gerade gewachsen und von sehr hellem Aussehen, sein Bart war voll und sein Haupthaar war dicht.

So reiste ich mit der Gaidemar-Sippe nach Süden. Doch änderte sich mein Zustand kaum, denn ich wurde zwar in Gaidemars Gesinde aufgenommen, aber nicht gleichen Ranges mit seinen Söhnen gestellt. Wir schlossen uns einem riesigen Zug Menschen an. Wir waren so viele, dass die Römer sich voller Angst freikauften, als wir an ihren Villen vorbei kamen. Wir nahmen Ihnen Korn, Pferde und Geschmeide ab.

Nach vielen Tagen Marsch geschah etwas Unerwartetes. Während einer Rast, als ich mir im Fluss gerade die Haare rot färbte, überfielen uns römische Reiter und begannen uns abzuschlachten. Ich schwamm durch das rote Wasser davon. Ich weiß nicht was Blut und was Farbe war. Die Strömung des Flusses nahm mich weit fort, doch ich hörte noch die Schreie von Frauen und Kindern und das Hauen der Waffen und Schilde.

Als ich am Abend den Lagerplatz erreichte, sammelten sich die wenigen von uns, die noch am Leben waren. Wir nahmen was übrig war, und zogen nach Osten. Unterwegs stießen wir auf Händler, die Bernstein und Tuche mit sich führten. In einem Ort namens Carnuntum (2) tauschten wir einen Teil der Beute und machten uns dann auf den Rückweg gen Norden.

Eine der Frauen, jung und kinderlos, deren Mann getötet worden war, wollte mich zum Gemahl nehmen, weil ich Ansehen und Wohlstand erworben hatte. Ich sagte Bilhildis zu, aber wir vereinbarten, die Lagerstatt erst zu teilen, wenn wir uns niedergelassen hatten. Wir warteten mehrere Monate, bis wir einen verlassenen Hof bezogen und uns in einer Hofgemeinschaft niederließen.

Wichtige Wege, auf denen die Händler Bernstein (3) und Salz zu den Römern bringen, laufen durch unser Land, und so kommt weiterer Reichtum zu uns. Unsere Gehöfte liegen in der Nähe des Sitzes von Ballomar, eines von den Römern eingesetzten rex, was einem Herzog und Häuptling entspricht. Er hatte als Befehlshaber von markomannischen (1) Reitern bei den Römern erfolgreich gekämpft, Gunst und Reichtum gewonnen. Es geht das Gerüchte, dass unser Land eine neue Provinz der Römer werden soll, mit dem Namen Marcomannia (1). Das bringt Unruhe mit sich, denn die meisten Männer wollen keine Diener der Römer sein. Wir werden sehen, was das Große Thing im Frühjahr erbringt...

Anmerkungen:

1. Die Markomannen waren ein Teilstamm der Sueben, zuerst sind sie im Heer Ariovists während Caesars Gallischem Krieg belegt. Um die Zeitenwende wanderten sie aus dem Elbgebiet ab und besetzten Teile des Maingebiets und Böhmens, nachdem sie die ansässigen keltischen Boier vertrieben hatten. Ihr Reich geriet bald unter römischen Einfluss, die Auseinandersetzungen gipfelten schließlich in den Markomannenkriegen, die sich von 166 bis 180 n.Chr. hinzogen

2. Carnuntum (nahe dem heutigen Wien) war ein Legionslager und die Hauptstadt der Provinz Pannonia (etwa heutiges Niederösterreich und Ungarn). Während der Markomannenkriege hatte Kaiser Marcus Aurelius hier sein Hauptquartier.

3. Bernstein, ein fossiles Baumharz, das hauptsächlich an der Ostseeküste gefunden wird, stellte schon in der Steinzeit ein Handelsgut dar und gelangte bereits im 3.Jt. v.Chr. bis nach Ägypten. Auch in Rom war electrum vonhohem Wert, nach Plinius dem Jüngeren konnte ein kleines Figürchen aus Bernstein teurer als ein Sklave sein. Die Europäische Bernsteinstraße verlief vom Baltikum über Carnuntum bis Aquileia an der Adria (nahe Triest) und stellte eine der wichtigsten Handelsverbindungen zwischen Barbaricum und Mittelmeerraum dar.