Thiudelind

  • Thiudelinde
  • Thiudelinde
  • Thiudelinde

Mein Name ist Thiudelind, benannt nach meinem Vater Thiudpert, nicht nach meiner Mutter Fridi. Das kommt daher, dass mein Vater von guter fränkischer Abstammung war, meine Mutter aber nur eine alamannische Gemeine, die er sich zum Weib genommen hatte, als er mit dem Gefolge von Graf Gunthart in die Alamannia (1) kam. Ich selbst bin auch hier geboren, und mein Vater war sehr glücklich darüber, obwohl meine Mutter kurz nach der Geburt am Kindbettfieber starb. Deswegen kaufte mein Vater Chunsina, eine junge Thüringerin, als Amme für mich. Sie war bei einem Feldzug unseres Herzogs gegen die Thüringer verschleppt worden . (2)

Als Kind musste ich viel reisen, denn mein Vater folgte seinem Herrn mit dem gesamten Haushalt von Ort zu Ort, weil Gunthart ein wichtiger cancellarius von König Chlothar (3) geworden war. Ich war an vielen Orten in der Suevia und auch in Austrasia, sogar im Land der Baiern und im Burgund (4). Chunsina blieb bei uns – sie war sehr gut zu mir, auch als ich schon größer war, und wurde bald auch zur Bettwärmerin meines Vaters. Nachdem sie einen Sohn gebar, heiratete mein Vater sie, aber der Knabe starb bald, und auch zwei andere Kinder, die sie in den nächsten Jahren auf die Welt brachte, starben an der Gelbsucht (5). So blieb ich das einzige Kind meines Vaters. Ich hatte viel Freude an den Reisen, besonders an den fremden Menschen, die wir überall trafen, und den manchmal seltsamen Sachen, die sie aßen. Chunsina war immer guter Dinge, obwohl die Muttergottes ihr offenbar keine eigenen Kinder zugedacht hatte. Sie hatte besonderen Spaß daran, Kräuter und Gewürze, die Händler aus weit entfernten Ländern brachten, zu besonderen Gerichten zu verwenden. Mir ging es dabei nicht anders. Und wenn meines Vaters Freunde ihn schon nicht wegen seiner Kinderschar beneideten, dann doch wegen seines Tisches!

Als ich erwachsen wurde, bekam ich viele Geschenke, und von Chunsina sogar ihre Fibeln – das einzige, was sie aus ihrer Heimat noch übrig hatte. Diese Fibeln habe ich immer noch, auch wenn ich sie nicht oft trage, da sie doch schon etwas altmodisch sind.

Mein Vater suchte lange nach einem guten Mann für mich, denn es sollte jemand mit Rang und Einfluss sein. Mein Vater wollte aber auch, dass ich glücklich mit meinem Mann sein kann. Viele Freier kamen zu uns, und viele waren bestimmt gute Männer, aber ich hatte Angst und Scheu davor, meinen Haushalt zu verlassen und einen eigenen zu gründen, weswegen ich an allen etwas auszusetzen fand. Außerdem hingen viele Männer in den östlichen Reichsgebieten noch den heidnischen Göttern an, obwohl König Childebert das schon vor rund zwanzig Jahren verboten hatte (6). Schließlich – wir waren zu Gast bei Episkop (7) Sidonius von Vindonisse (8), der gerade in Constantia weilte. In seinem Gefolge war auch Framminus, sein secretarius und medicus, der nur wenig älter war als ich und von dem alle dachten, dass er bald Priester und auch Episkop werden müsste. Auch er war schon viel herumgekommen, und wir verstanden uns wunderbar. Das blieb meinem Vater nicht verborgen, und die drei Männer verhandelten einige Tage. Sie kamen überein, dass Framm und ich verheiratet werden können und wir von meinem Vater im Neckartal ein allod (9) erhalten. Erst wenn mein Sohn, unser Stammhalter, volljährig wird, soll Framm die Priesterweihe erhalten, und ein Teil unseres Besitzes soll an die Kirche übereignet werden. Damit waren wir alle einverstanden, auch wenn es mir jetzt schon eigenartig vorkommt, dass wir dann enthaltsam sein müssen (10). Aber das erscheint mir alles noch sehr fern und wer weiß was der Herrgott für uns geplant hat?

Anmerkungen:

(1) Nach den Schlachten bei Zülpich 496 und Straßburg 506 gerät das bis dahin freie Alamannien unter fränkische Herrschaft. Schon unter Chlodwig werden fränkische Adlige als Verwalter in die neue Provinz Schwaben entsandt, um den Machtanspruch der Franken zu sichern. Ab dieser Zeit beginnt auch eine erkennbare „Frankisierung“ der Sachkultur in Südwestdeutschland sowie die Christianisierung der Bevölkerung.

(2) 531 wurde das Thüringerreich von den Franken unterworfen und eingegliedert.

(3) 500-561, fränkischer König

(4) Schwaben: ehemalige Alamannia;
Austrasien: Fränkisches Kerngebiet im Gebiet von Rhein, Main und Maas;
Baiern: heutiges Bundesland und Gebiete bis östlich von Salzburg;
Burgund: westliche Schweiz, südöstliches Frankreich.

(5) Neugeborenenikterus durch Rhesus-Blutgruppenunverträglichkeit.

(6) 532 verhängt König Childebert I. ein Edikt, das heidnische Gesänge, Tänze und Gelage untersagt und die Entfernung heidnischer Götterbilder anordnet.

(7) Bischof; vom griechischen episkopos, „Aufseher“, „Vorstand“

(8) Windisch in der Schweiz (Kt. Aargau). Von 15-401 n. Chr. römisches Legionslager; im Frühmittelalter bedeutende städtische Siedlung mit Bischofssitz, der 585 nach Konstanz verlegt wird.

(9) Landbesitz, der ausschließlich im Eigenbesitz einer Person/Familie liegt, im Gegensatz zu Lehen oder Gemeinbesitz.

(10) Die katholische Kirche erwartete von Geistlichen vermutlich schon im Frühmittelalter Enthaltsamkeit, nicht unbedingt Ehelosigkeit (Synode von Elvira 306), in der Tradition der frühchristlichen Mönchsgemeinschaften. Offenbar machte die Umsetzung Schwierigkeiten, weswegen das 2. Laterankonzil 1139 auch die Ehelosigkeit als Zölibatsvorschrift festlegte.