Zu Fragen der Ideologie
Obwohl ASK sich ausschließlich mit der Darstellung der archäologisch-historischen Kultur der Alamannen beschäftigt, wäre es unangebracht, die teils absurden Rezeptionen des “Germanentums” im 19./20.Jh. zu ignorieren. Statt der formelhaften Leugnung von Verstrickungen in nazistisches Gedankengut halten wir es für konstruktiver, in einer historischen Synopse die Entwicklung dieser Verirrungen darzustellen. CPR - Cornel Rodenbusch, M.T. - Dr. Martin Trautmann
Entstehung der Rassenideologie um die Jahrhundertwende
Die Befreiungskriege gegen Napoleon und die Romantik förderten bei fast allen Ländern Europas ein neues Nationalempfinden. Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts wurde die romantische Darstellung der mehr oder weniger fiktiven Urahnen mit den Theorien Darwins über die Entstehung der Arten verbunden.
In einer gesellschaftlichen Fehlinterpretation der Evolutionslehre wurde propagiert, dass es im Konkurrieren ums Überleben Völker geben müsse, die weiter fortgeschritten und entwickelt seien als andere. Manche Völker wurden als schwach, andere als stark bewertet. Die von Imperialismusdenken und europäischer Hegemonie geprägten Verfechter dieser Theorien sahen sich als Erkenner der Wahrheit und somit schon in überlegener Position. Man begnügte sich allerdings nicht damit, die Überlegenheit der Europäer gegenüber beispielsweise Asiaten oder Afrikanern in pseudowissenschaftlichen Diskussionen zu erörtern; genauso wichtig nahm man Versuche, eine Wertigkeit unter den europäischen Nationen herauszufinden.
Der Arier, die mythische Hauptfigur des dritten Reiches
Ende des achtzehnten Jahrhunderts stellten Sprachwissenschaftler Verwandschaften zwischen dem Keltischen, Germanischen, Griechischen, Persischen und Indischen fest. Man schloss daraus, dass eine indo-germanische Ursprache existiert haben musste, aus der sich die anderen entwickelten. Der nächste Schritt, dieser theoretischen Ursprache ein theoretisches Urvolk zuzuordnen, lag nahe. Als Stammväter der überlegenen europäischen Nationen konnten diese Menschen natürlich nur als besonders “edel” gewertet werden. Problematisch war zunächst nur, dass ein indogermanisches Urvolk historisch nicht belegbar war. Dies hinderte in der Folgezeit jedoch nicht daran, dem fiktiven Ahnenvolk charakteristische Eigenschaften anzudichten.
Friedrich Schlegel
Friedrich Schlegel beschäftigte die Frage, wo dieses Urvolk seinen Ursprung gehabt haben könnte. Im Sanskrit entdeckte er bildhafte Formulierungen, die von einer Verehrung des hohen Nordens durch die Inder zeugten. 1819 entstand der Sammelbegriff “Arier” für Germanen und Inder. Er wurde von Herodot aus dem Griechischen übernommen. Aus “Arier” las Friedrich Schlegel “Ari”, was “Ehre” bedeutet, und aus dieser Deutung entwickelte sich das Bild einer aristokratischen Herrenrasse. Nach Friedrich Schlegel sei der Ursprung der Indogermanen eher in Indien anzusiedeln.
Christian Lassen
Christian Lassen, ein Schüler Schlegels, bringt 1845 eine verhängnisvolle Wertung in das bis dato noch relativ neutrale Bild der Indogermanen. Er glorifiziert den Arier und spricht von der “vollständigen Begabung” des Ariers. Ihm gegenüber stehen die Semiten, denen das “Gleichmaß aller harmonischen Seelenkräfte fehle”. Christian Lassen bringt eine Lawine ins Rollen, die auf unglückselige Weise Rassenanthropologie und Linguistik verbindet, und aufgrund der Hitler dem “Arier” später die absolute Berechtigung zur Weltherrschaft zuspricht
Bedeutende Rassenideologen und Schriftsteller
Housten Stewart Chamberlain
Im Wien der Jahrhundertwende schrieb der in England geborene und in Frankreich aufgewachsene Chamberlain sein Buch “Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts”. In diesem zentralen Werk fordert er eine Zuchtwahl nach darwinistischen Grundsätzen. Wirklich neu war die Unterteilung in Juden und Arier. Er unterstellte dem “Juden” eine materialistische Diesseits – Orientierung, dem Arier im Gegenzug einen metaphysischen Geist, der ihn dazu befähigt, als inspirierter Kulturbegründer zu wirken.In der gehobenen Wiener Gesellschaft war er ein renommierter Mann, Ehrenmitglied im “Richard Wagner Verein” und heiratete später auch dessen Tochter Eva Wagner. Hitler besuchte den todkranken Schriftsteller in Bayreuth sogar persönlich.
Helena Blavatsky
In ihrem Hauptwerk: “Die Geheimlehre” lädt die Mystikerin den Begriff “Arier” mit mythologischer Bedeutung auf. Sie sieht in den Ariern die Nachfolger einer riesenhaften Rasse, die in Atlantis und auf Hyperborea gelebt haben sollen. Sie sollen magisches Wissen besessen haben und ihre Zeugnisse seien noch überall auf der Welt zu erkennen. Sie sollen Luftschiffe besessen haben, mit denen sie den Himmel durchkreuzten. Die riesenhaften Statuen auf den Osterinseln und Stonehenge in England seien steingewordene Zeugnisse der arischen Kultur, ihr heiliges Symbol sei das Hakenkreuz gewesen, in dem sie Thors Hammer erkennen will.
Guido von List
Um 1900 wird ein Eigenbrödler namens List zum verehrten Oberhaupt eines geheimen Zirkels. Während einer zeitweiligen Erblindung offenbarten sich ihm angeblich alle Geheimnisse germanischer Runen, Zeichen und Bräuche. Nach diesem Erlebnis sieht List überall in der Region um Wien alte Opferstätten und ist besessen von der Rekonstruktion einer ehemaligen Wotansreligion. In kürzester Zeit schreibt er seine Visionen nieder, die bis heute in neogermanischer Esoterik zu finden sind. Aus diesen mystischen Schwärmereien entwickelten sich harte rassistische Kampfansagen.
List sah sich selbst als Runendeuter, der durch seine spirituelle Verbundenheit zum germanischen Urgeist in der Lage sei, die Bedeutung der Runen zu erschließen. Für seine rein intuitive Interpretation fehlt allerdings jeglicher wissenschaftlicher Beleg. Trotzdem oder gerade wegen seiner Art, Runen symbolisch zu deuten, wurden seine Schriften populär.
Er sah im Hakenkreuz ein Symbol des Lichts und der Wiedererstarkung der Germanen im Frühling des 20.Jh. List prophezeite einen “ kommenden ario-germanischen Weltkrieg”, in dem der Arier seine Qualität beweisen werde.
Joseph Adolf Lanz von Liebenfels
Der sich selbst als freier Mythenforscher bezeichnende Adolf Lanz war 1911 Herausgeber und Mitverfasser einer Zeitschrift namens “Ostara”, die nachweislich auch Hitler gelesen hatte. In der Zeitschrift wurden unter anderem Guido von List, Helena Blavatsky und Chamberlain zitiert. 1905 erschien sein verhängnisvolles Buch: “Theozoologie oder die Kunde von den Sodomsäfflingen und dem Götter-Elektron”. In diesem Buch beschreibt Lanz Praktiken zur Reinigung des Volkes: Deportation, Kastration, Sterilisation und Verbrennung minderwertiger Personen sowie die Einrichtung von “Zuchtmütterklöstern”.
1907 kauft er mit Hilfe von Spenden eine Burg an der Donau und gründet den “Orden der neuen Templer”. Auf dem Turm der Ordensburg Werfenstein im Strudengau hisst Lanz eine Flagge, die das Siegeszeichen des arischen Rassegeistes darstellen soll: Eine rote Swastika auf goldenem Grund.
Auswirkung dieser Autoren auf die Geisteswelt Deutschlands
Indien, wie am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts von Schlegel vermutet, hatte als Wiege der Menschheit ausgedient. In Deutschland bis 1920 unbekannte Personen nutzten die Orientierungslosigkeit der Massen und machten ihre Rassenideologie zum politischen Machtmittel. Fadenscheinige anthropologische, historische und philosophische Argumente wurden konstruiert, die dazu dienen sollten, den Deutschen die Befugnis zu jeder noch so unmoralischen Handlungsweise zu liefern. Begründet wurde dies mit einer abstammungsbedingten Vorrangstellung. Die Folge war eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte: Der Zweite Weltkrieg.
Geschichtsmissbrauch im Nationalsozialismus
Die Führungsschicht um Hitler und Himmler, insbesondere die SS, glichen in Struktur und Aufbau einer modernen Sekte. Die SS rekrutierte sich aus Ordensgemeinschaften, deren Mitglieder und Gründer den Lehren von List und Liebenfels folgten. Die anscheinend wissenschaftliche Basis der SS-Forschung, zum Beispiel die Stiftung “Ahnenerbe”, war durchdrungen von spiritistischen Ansätzen und theosophischen Praktiken.
Ziel war es, eine Kontinuität der Geschichte herzustellen. Die Germanen wurden als Bindeglied zwischen dem propagierten “Urvolk” und dem modernen Deutschland missbraucht. Das gesuchte “Urvolk” soll angeblich vor Jahrtausenden gottgleich und mit magischen Fähigkeiten im hohen Norden gelebt haben. Durch die Paarung mit sogenannten “niederen Rassen” verloren sie schließlich ihre Macht und “degenerierten”.
Im Deutschland der 40-er Jahre sollten nur noch wenige Eingeweihte in ihrem Unterbewusstsein von dieser Tatsache wissen. Dieser Intuition folgend, ergründete man theosophisch die Runen und Zeichen der Ahnen und wartete auf eine “Lichtgestalt”, die einen neuen arischen Frühling einläuten sollte.
Wofür brauchte man also die Germanen? Liest man nun den römischen Geschichtsschreiber Tacitus, so beschreibt dieser die Germanen als sehr ursprüngliches, von der Zivilisation unverdorbenes Volk. Ganz im Gegensatz zur römischen Kultur, die bereits sehr urban und luxuriös war. Tacitus, so vermutet man heute, wollte somit seine Landsleute dazu aufrufen, bodenständiger und genügsamer zu leben.
Im Dritten Reich deutete man diese Darstellung jedoch als Beschreibung einer Kultur, die noch ganz im Sinne des “Urvolks” lebte: Wild, kriegerisch, furchtlos und “rein”.
Indirekt und sehr suggestiv wurde dieser Gedanke selbst in der Schule gefördert. Der “Arier” wurde als metaphysischer Kulturbegründer angesehen und verherrlicht. Seinem Gegenpart, “dem Juden”, unterstellte man eine materialistische Diesseitsorientierung, die man auch im römischen Reich zu finden glaubte.
Noch heute beruft sich die rechte Esoterik auf diese Deutung: Die Germanen werden als “rein und von höchster Rasse abstammend” angesehen.
Verwendete Quellen und Literatur
Brigitte Hamann “Hitlers Wien – Lehrjahre eines Diktators” Piper Verlag, 1996 München.
Rüdiger Sünner “Schwarze Sonne – Entfesslung und Missbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik” Herder/Spektrum Verlag, 1999 Freiburg im Breisgau.